Vortragsarchiv
Sokrates hat den Satz: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ wie einen Leitspruch vor sich her getragen. Weil Sokrates sich Zeit seines Lebens um Wissen bemüht hat und es offenbar nicht prinzipiell für unmöglich hielt, zu sicherem Wissen zu kommen, deutet der Satz auf ein 'Problembewusstsein'. Anders als seine Zeitgenossen wusste Sokrates um die Schwierigkeit allgemeiner Definitionen im Bereich ethisch-politischen Handelns. Auch damals gab es Viele, die genau zu wissen vorgaben, was gut ist für die Allgemeinheit und das Wohl der Polis (Stadtgemeinschaft): Die unbegrenzte Herrschaftserweiterung der Stadt Athen mit den Mitteln des Krieges. Wie begründet Sokrates' Bemühungen waren, seine Mitbürger angesichts ihrer maßlosen Kriegs- und Machtpolitik zur Besinnung zu bringen, hat das weitere historische Schicksal Athens gezeigt. Die Stadt hat sich
durch ihre Kriegspolitik schließlich selbst zerstört.
Die griechische Tragödie, hervorgegangen aus dem Kultlied zu Ehren des Dionysos, stieg gleichzeitig mit der Entwicklung der Demokratie in Athen zum Mittel der Athenischen Bürgerschaft auf, im Gewande des Mythos die drängenden politischen Fragen der Gegenwart durchzuspielen. Die Tragödien dienten so der Ausgestaltung bzw. Problematisierung widerstreitender, d.h. alternativer Handlungsweisen, und damit dem Selbstfindungsprozess der athenischen Bürgerschaft. Enthält Sophokles' "Antigone" im berühmten Chorlied die Feier der Demokratie mit gleichzeitiger Warnung vor Hybris, so zeigt sein "König Oidipus" den weiten Weg der Umkehr des Helden von anfänglicher tyrannischer Verblendung zu Selbsterkenntnis und Läuterung, während Euripides mit seiner Tragödie "Orestes" die Logik von Machtausübung und Vergeltung offenlegt, für den Frieden plädiert und mit seiner Tragödie die "Bakchen" das Strafgericht des Gottes Dionysos über den Verrat am ‚guten Leben’ im Einklang mit der Natur und die maßlose Kriegs- und Machtpolitik Athens gefällt hat.
Johann Wolfgang Goethes (1749-1832) Lebensspanne fiel größtenteils in die allgemeine Zeitenwende des späten 18. Jahrhunderts, die man heute eine “Sattelzeit” nennt. Es ist die Epoche der Hochaufklärung mit ihrer allgemeinen Aufwertung der menschlichen Fähigkeiten. Goethe steht mit seiner Person und seinem Werk für die Möglichkeiten des Menschen schlechthin, für die allseitige Ausbildung der Persönlichkeit - wenn der Mensch sich ein Leben lang um ihre Ausbildung bemüht (und die entsprechenden Anlagen mitbringt). Der Weg zur Realisierung dieses Menschenmöglichen ist allerdings ungewöhnlich. Goethe steht mit seiner Auffassung von Gott und Natur quer zu den Ansichten des Jahrhunderts. Goethe ist kein Christ. Der Grund ist Goethes vehemente Ablehnung der christlichen Erbsündenlehre. Die Anerkennung seines Leibes als sündhaft und das Beharren auf die eigenen Kräfte als Hybris hätten ihn in Widerstreit mit sich selbst gebracht. Um seine dichterische Produktivität zu wahren, die sich auf seine ausgeprägte sinnliche Veranlagung gründet, wagt Goethe den Schritt zum Pantheismus.
Der geschulte Kantianer Friedrich Schiller und der Pantheist Johann Wolfgang Goethe repräsentieren diametral entgegengesetzte philosophisch-weltanschauliche Denkweisen. Beide waren sich zunächst gegenseitig ‚verhasst’. Schiller hegte einen Abneigung gegen Goethe, weil das Schicksal diesen so sehr begünstigte, während er selbst so hart um alles hatte kämpfen müssen. Goethe wiederum hatte einen „Groll“ gegen Schiller entwickelt, weil dieser in seinem Aufsatz Über Anmut und Würde (1793) die Natur herabgesetzt hatte. Schiller hatte in dieser Schrift aus der Rückschau seiner Aneignung der Kantischen Philosophie Selbstkritik geübt und das Genie durch ein Übermaß an Triebkräften und einen Mangel an moralischer Vernunft charakterisiert. Goethe aber hatte dies auf sich selbst bezogen und den Umgang verweigert. Trotzdem kamen beide 1794 zufällig bei einer Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena ins Gespräch. Ihr anschließend entwickeltes Freundschafts- und Arbeitsbündnis zeigt, wie fruchtbar und bereichernd die Wahrnehmung und Anerkennung gegensätzlicher Weltanschauungen gestaltet werden kann.
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Philosophisch fundierte Kritik am Kapitalismus zu üben, ist gar nicht so schwer. Man muss nur den Mut haben, den Wortführern des Kapitals, die die öffentliche Meinung mit ihren vorgestanzten Formeln fest im Griff halten, nicht blind zu folgen und sich mit eigenständigem Denken ein Bild machen. Die drei Hauptpunkte der Kritik am Kapitalismus lauten: Erstens: Der Kapitalismus entfremdet den Menschen von seinem Gattungswesen, d.h. er isoliert den Menschen vom Menschen, weil er das Interesse der Privatbereicherung zum universalen Gesellschaftsprinzip erhoben hat (im 19. Jahrhundert sagte man dazu noch ganz unverblümt: Der Kapitalismus bricht einem universalen Egoismus die Bahn). Zweitens: Der Kapitalismus ist ungerecht, weil er mit dem universalisierten Prinzip der privaten Bereicherung zur zunehmenden Polarisierung von Arm und Reich führt (dazu gehört auch, dass der Kapitalismus undemokratisch ist, weil er – wie wir von Tag zu Tag mehr erfahren – in seiner entwickelten Form eine Macht besitzt, die zunehmend auch die Sphäre der Politik und des Staates dominiert). Und drittens: Der Kapitalismus ist krisenhaft. Er hat die menschlichen Produktionsmittel ins schier Unermessliche gesteigert und wird sie weiter steigern - aber er wird den Menschen aufgrund seiner systemimmanenten Krisenhaftigkeit niemals sichere Lebensbedingungen bieten können.
Heute ist in den hochentwickelten Industrieländern ein Reichtum vorhanden, der alle Vorstellungskraft früherer Generationen übersteigt. Aber mit dem ungeheuren Reichtum der hochentwickelten Industrieländer wurde auch das psychische Leid reproduziert und höherentwickelt. Das Elend der Lohnabhängigen ist heute zur höchsten Absurdität gesteigert: In ihrer ohnmächtigen Lage gegenüber der entwickelten Macht des Kapitals werden sie im Wirtschaftsprozess immer durchgreifender zum bloßen Mittel degradiert, dem Produktionsprozess und seinen Erfordernissen zur Produktivitätssteigerung unterworfen, angewendet, flexibilisiert, erschöpft und schließlich weggeworfen. Alle materiellen Voraussetzungen für ein befriedigendes und selbstbestimmtes Leben vor Augen - der Kapitalismus hat den dazu nötigen Reichtum entwickelt - verwandelt sich für die Mehrheit der Bevölkerung „Lebenszeit“ in fremdbestimmte „Arbeitszeit“. So ergibt sich in den entwickelten Industrieländern das wahrhaft absurde Faktum höchsten materiellen Reichtums bei höchster geistiger Verelendung.
Die Reflexion über das Altern gehört zu den ältesten Themen der Philosophiegeschichte. Über das Altern haben sich die Menschen zu allen Zeiten und unter den verschiedenartigsten historischen Umständen Gedanken gemacht. Die heutige gesellschaftlich herrschende Sichtweise, die den Alterungsprozess einzig unter ökonomischen Gesichtspunkten – als Verlust nutzbarer Leistungsfähigkeit – also einseitig negativ als Verfall betrachtet, verstellt den Blick auf die Möglichkeiten und Stärken des Alters. Behandelt werden die antiken Auffassungen von Aristoteles, Cicero und Seneca, wie auch die modernen Reflektionen Goethes und die Schwierigkeit, heute unter den Bedingungen des Kapitalismus in Würde zu altern.
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